Wie dein Nervensystem dein Denken beeinflusst – warum du heute noch keinen Ausweg siehst

 

Ich erinnere mich gut an die dunkelsten Phasen meiner Depression.

 

Ich war davon überzeugt, dass sich mein Leben nie mehr ändern würde. Dass es für mich keinen Ausweg geben konnte. Ich war müde, leer, wie abgeschnitten von allem, was mir je etwas bedeutet hatte. Die Vorstellung, dass es eines Tages wieder hell werden könnte, war so weit weg, dass sie fast schmerzhaft war.

 

Heute, viele Jahre später, kann ich diese Gedanken kaum mehr nachempfinden. Nicht, weil ich vergessen habe, wie es war – sondern weil sich meine Wahrnehmung verändert hat. Und mit ihr: mein Denken, mein Handeln, mein Leben.

 

Du siehst die Welt nicht, wie sie ist – sondern wie du dich fühlst.

 

Unser Nervensystem ist der stille Filter, durch den wir das Leben wahrnehmen. Es entscheidet, ob sich die Welt sicher oder gefährlich, verbunden oder leer, weit oder aussichtslos anfühlt.

 

Wenn das Nervensystem in einem Zustand von Überforderung, Erschöpfung oder gar dorsalem Shutdown ist (wie es in der Polyvagal-Theorie beschrieben wird), ist kein Zugang zu Hoffnung, Neugier oder Zuversicht möglich. Der Blick verengt sich. Die Gedanken kreisen. Alles scheint festgefahren.

 

In diesem Zustand kannst du nicht klar denken – nicht, weil dir etwas fehlt, sondern weil dein System dich schützt. Es ist, als ob die Welt in Grautönen erscheint, obwohl sie eigentlich Farbe hätte. Nur: Du kannst sie im Moment nicht sehen.

 

Wenn Regulation einsetzt, beginnt sich etwas zu ändern.

 

Und das ist kein großer, plötzlicher Schritt. Oft ist es ein leiser Moment:

 

  • Ein Gedanke wie: "Vielleicht muss ich da nicht allein durch."

  • Ein Atemzug, der ein klein wenig tiefer geht und bei dem du dich spürst

  • Ein Mensch, der zuhört, ohne etwas zu wollen.

 

Wenn dein Nervensystem sich nur ein wenig sicherer fühlt, kann sich dein Denken öffnen. Neue Möglichkeiten tauchen auf. Du spürst vielleicht: "Ich dürfte Hilfe annehmen. Ich könnte einen anderen Weg versuchen. Ich bin nicht falsch, ich bin erschöpft."

Das ist der Moment, in dem du nicht nur denkst, sondern wieder fühlen darfst.

Und damit beginnt Veränderung.

 

 

Veränderung beginnt mit Wahrnehmung.

 

Nicht mit Disziplin. Nicht mit Durchhalten. Nicht mit positiven Gedanken.

Sondern mit einem Nervensystem, das langsam wieder Vertrauen fassen darf. Das spürt: Ich bin sicher. Ich darf mich bewegen. Ich darf mich anders erleben.

Dann zeigt sich die Welt in einem anderen Licht. Und das Leben kann sich ändern – von innen heraus.

 

Wenn du gerade keinen Ausweg siehst, bedeutet das nicht, dass keiner da ist.

 

Es bedeutet nur, dass dein System im Moment nicht sehen kann, was möglich wäre. Und das ist okay. Du musst nichts erzwingen. Du darfst in deinem Tempo gehen.

Vielleicht beginnt alles mit einem Satz, der leise in dir anklingt:

"Ich darf hoffen, auch wenn ich es noch nicht spüre."

Oder:

 

"Es ist okay, wenn es noch dunkel ist. Das Licht wird mich finden, wenn ich bereit bin."

Ich wünsche dir, dass du dieses Licht bald sehen kannst, falls du es gerade noch nicht siehst!